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Berndt Kodden
Veröffentlicht am: 08 Nov 2016Berndt Kodden war zehn Jahre lang in Asien tätig und leitete erfolgreich den Bereich Kindernahrung von FrieslandCampina in Vietnam, Indonesien, Malaysia und Singapur. Seit dem 1. Januar 2015 ist er Geschäftsführer von Branded Netherlands, bekannt für Marken wie Mona, Campina, Chocomel, Fristi, Dubbelfrisss und Coolbest. In einem Gespräch mit Janko Klaeijsen erläutert er seine Managementphilosophie. „Echte Führungskräfte erlauben sich, verletzlich zu sein. Nur so kann gegenseitiges Vertrauen entstehen.“
Du arbeitest nun seit fast zwei Jahren in den Niederlanden als Managing Director Branded.
Was hast du vorgefunden, als du hier angefangen hast?
„Ich hatte zehn Jahre lang Wachstum in Asien erlebt. Von der Seitenlinie aus habe ich natürlich mitbekommen, dass es in Europa nicht so gut läuft. Der Markt schrumpfte, Fabriken mussten schließen… ich erwartete also, dass hier alle Alarmglocken läuten würden. Aber nein. Die Schrumpfung war nicht so stark, dass den Menschen der Verlust ihres Arbeitsplatzes drohte – nicht wie in Griechenland, wo die Wirtschaft auf einen Schlag um 70 Prozent einbrach. Kurz bevor ich hier anfing, war ich mit meiner Familie in den Winterferien. Dort lag ich im Bett und dachte: Bald werde ich vor der Gruppe stehen, dieser Junge aus Asien, der allen erklären wird, wie man es machen sollte. Was werde ich ihnen sagen?“
Und…?
„Ich bin visuell orientiert, also nahm ich eine Abbildung eines großen Fisches in einem undichten Fischglas mit. Das sind wir, sagte ich. Der Markt schrumpft seit Jahren, das Wasser läuft aus, und wenn wir nichts tun, liegt der Fisch irgendwann tot am Boden. Dies erfordert eine längerfristige Vision, aber auch gezieltes Handeln am nächsten Morgen. Also stellte ich die Frage: Wenn Sie morgens in Ihr Auto oder Ihren Zug steigen, fahren Sie dann zur Arbeit oder wollen Sie etwas bewegen? Wenn jeder sagt: Nur arbeiten, sonst nichts, dann liegen wir bald tot in diesem Fischglas. Nein, die Frage lautet warum gehen Sie zur Arbeit und warum bei FrieslandCampina? Weil Sie Dinge verbessern wollen! Das gilt nicht nur für die Spitze, sondern auch, wenn Sie hier ans Telefon gehen – tun Sie das mit einem Lächeln? Es ist eine Einstellung.“
„Also stellte ich die Frage: Wenn Sie morgens in Ihr Auto oder Ihren Zug steigen, fahren Sie dann zur Arbeit oder wollen Sie etwas bewegen?“
Und hat deine Geschichte Anklang gefunden? Merkst du, dass sich die Einstellung verändert?
„Ja und nein. Es geht definitiv in die richtige Richtung, aber ich bin ungeduldig. Mit dem Gefühl der Dringlichkeit bin ich manchmal noch nicht einverstanden. Was funktioniert, ist, Menschen in die Fabrik oder zu einem unserer Milchbauern zu bringen und dort mit den Arbeitnehmern zu sprechen. Die meisten Menschen können mit Zahlen nicht so viel anfangen, aber wenn sie die persönliche Geschichte hören, wird es ihnen deutlich. So wie ein Landwirt, der 25 Cent für einen Liter Milch bekommt, aber seinen Kredit bei der Bank auf 34 Cent berechnet hat. Der Mann verliert 9 Cent auf den Liter – das ist hart. Inzwischen entwickeln sich unsere Kategorien besser, und viele unserer Marken schreiben seit eineinhalb Jahren Gewinne. Es geht also schon.“
Du bist 42 und Geschäftsführer. Das ist jung. Wie ist dir das so schnell gelungen? „Ich weiß, es klingt wie ein großes Klischee, aber man muss bereit sein, aus seiner Komfortzone herauszutreten. Es ist zwar bequem, die gewohnten Dinge weiter zu tun, aber man wird dadurch nicht besser. Und ich denke, man ist es sich selbst schuldig, das Beste raus zu holen. Nach dem Gymnasium in Raalte gingen alle meine Freunde nach Groningen oder Enschede, um Jura oder Betriebswirtschaft zu studieren. Ich ging alleine nach Rotterdam, um an der Erasmus-Universität ein zweijähriges Kombinationsstudium in Wirtschaftswissenschaften und Japanisch zu absolvieren. Warum? Ich war gut in Wirtschaft und Sprachen, und ich vermutete, dass Japan in Zukunft noch mehr an Bedeutung gewinnen würde. Am Ende stellte sich heraus, dass dies nicht der Fall war; der Rest Asiens war viel schneller. Aber ich habe viel aus der Entscheidung gelernt, es mir selbst ein wenig schwerer zu machen.“
Das angehen worin man nicht so gut ist, sagst du. Aber das Gegenteil – ‚follow your strengths‘ – hört man auch häufig. Wie siehst du das?
„Es hängt davon ab in welcher Phase deine Karriere sich befindet. Am Anfang musst du Dinge angehen, von denen du glaubst, dass du sie weniger gut kannst. Natürlich ist es wichtig, eine Vorstellung davon zu haben, wo man hin will, aber es gibt keine gerade Linie. Man kann nicht alles planen. Also nicht zu sehr auf die berufliche Laufbahn konzentrieren. Ich habe dreimal horizontal den Arbeitsplatz gewechselt. Vergleichbare Arbeit, aber ein anderes Land. Ich habe mir nie Gedanken über meine Berufsbezeichnung oder meine Gehaltsklasse gemacht. Jedoch darüber, ob meine Reisetasche noch voller werden würde. Sich in eine unbequeme oder verletzliche Position zu begeben, ist meiner Meinung nach ein Zeichen von Stärke. Solange man Ergebnisse vorweisen kann.“
„Ich habe dreimal horizontal den Arbeitsplatz gewechselt.“
Für eine schnelle Karriere braucht man auch das Vertrauen der über einem stehenden Schichten. Wie bekommt man das?
„Das muss einem auch gegönnt werden. Meine Vorgesetzten waren bereit, Risiken einzugehen, wodurch ich schon in jungen Jahren viel Verantwortung übertragen bekam. Man braucht jemanden, der einem die Tür öffnet, der nicht darauf achtet, was schief gehen, sondern was gut gehen kann. Man kann sehr gewichtige Leute auf neuen Positionen besetzen, mit genau den richtigen Lebensläufen, die alle Kriterien erfüllen. Wenn es dann schief geht, ist man frei von Schuld. Aber dann bekommt man häufig jemanden, der auf den Laden aufpasst, der schon alles gemacht hat. Das ist prima, aber nicht das was FrieslandCampina gegenwärtig braucht.“
Hast du diese Philosophie auch bei deinen Anstellungen in Asien angewandt?
„Ja. In Kuala Lumpur habe ich zum Beispiel einen Inder eingestellt, der sehr wenig über Säuglings-/Kindernahrung wusste. Sein Vorstellungsgespräch war auch nicht so gut – wir stellten ihm eine Frage und er redete für den Rest des Gesprächs. Aber so leidenschaftlich und mit so viel Energie… Später kamen andere Direktoren auf mich zu und fragten: Was ist das für ein Typ? Der passt überhaupt nicht zu FrieslandCampina. Ich sagte: Gebt ihm ein halbes Jahr. Wird es nichts, habe ich ein Problem. Mittlerweile ist er eines der besten Talente, die wir haben. Deshalb habe ich immer im Blick, dass jemand vielleicht nicht alle Anforderungen erfüllt, aber in einigen wesentlichen Punkten zum reibungslosen Funktionieren der Organisation beitragen kann.“
Du warst ziemlich erfolgreich in Asien. Woran lag es, kurz und knapp?
„Durch Dinge grundlegend anders zu machen als unsere Konkurrenten. Als wir in China anfingen, liefen 80 Prozent des Marktes für Säuglingsnahrung über die Supermärkte. Der „Albert Heijn“ vor Ort sagte: Ihr könnt hier zwar liegen, aber das kostet euch Geld, und wenn der Umsatz nicht hoch genug ist, seid ihr im Handumdrehen wieder weg. Also gingen wir in die Viertel, in die Geschäfte für Umstandsmoden, wo man Kinderwagen und Umstandskleidung kaufen kann. Die anderen Marken waren auch da, aber sie haben nichts Besonderes gemacht. Stadt für Stadt bauten wir ein CRM-System mit direkten Kundenbeziehungen auf, bis wir irgendwann so viel Zugkraft hatten, dass die Supermärkte sagten: Wir bekommen immer mehr Nachfrage nach eurer Marke, wollt ihr nicht zu uns kommen? Dann wird es ein ganz anderes Gespräch. Auch bei unserer Markenpositionierung machten wir es anders als der Rest. Mit Betonung auf den niederländischen Ursprung von „Vom Gras zum Glas“ und einer unverwechselbaren Geschichte. Darüber hinaus waren wir der erste Player, der übermäßig in den elektronischen Handel investiert hat. Aber man muss einen langen Atem haben. Im ersten Jahr hatten wir einen Umsatz von 37 Millionen Euro – bei einem Markt von 8 Milliarden ist das nichts. Mittlerweile stehen wir auf Platz 4. Natürlich hatten wir auch Glück; die Mittelschicht wächst in Asien noch immer enorm. Und wegen des Melaminskandals in China wollten viele Menschen nur noch ausländische Marken. Mein Take away lautet: harte Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen. Nicht auf halber Strecken umkehren, wenn die Ergebnisse mal nicht so gut sind. Und: Irre gute Menschen um dich versammeln.“
Darüber gesprochen: du hast bei FrieslandCampina in den Niederlanden selbststeuernde Teams eingeführt. Erläutere das bitte.
„Als ich hier anfing, sah ich ständig überfüllte Sitzungsräume. Man musste sie Monate im Voraus buchen… Ich weigere mich zu glauben, dass man mit zwanzig Personen effektive Sitzungen abhalten kann. Sicherlich nicht, wenn es keine gute Tagesordnung gibt – dann läuft eine Sitzung auf „gegenseitiges Informieren“ hinaus, und jeder darf bei allem mitreden. Das habe ich mir in Asien total abgewöhnt. Überdies: Ich bin zum Beispiel für die Produktion verantwortlich, aber das bedeutet nicht, dass ich viel darüber weiß. Warum muss ich also bei jedem Treffen dabei sein, bei dem es darum geht? Das sollte man den Leuten überlassen, die es wirklich wissen. Deshalb haben wir zum Beispiel das Thema „Suc6“ eingeführt. Ein Team besteht aus maximal sechs Personen, also bespricht man sich mit maximal sechs Personen. Und man ist gut vorbereitet, setzt sich nicht einfach irgendwo hin, sondern nur dort, wo man einen Mehrwert schaffen kann. Man kennt die Zahlen. Wie viele Kartons wurden verkauft? Wo liegt der Marktanteil? Wie hoch ist der Gewinn? Weniger Schichten, kleinere Teams, mehr Verantwortlichkeiten.“
Was ist dann die Funktion des MTs bei diesen Teams?
„Manager dürfen nicht meinen, alles zu wissen. Das passt nicht mehr in die Zeit. Glaubst du, ich gehe hier auf mein E-Commerce-Team zu und erkläre ihm, wie es seine Arbeit machen soll? Nein, ich skizziere den Rahmen, ich sorge dafür, dass es Geld gibt, ich vertraue darauf, dass sie selbst am besten wissen, wie sie ihre Arbeit machen sollen. Einmal im Monat treffen sich die Teams mit dem MT, wo sie die Tagesordnung selbst festlegen – das wollen wir beschleunigen, das müssen wir stoppen, dafür brauchen wir mehr Geld oder mehr Leute. Seitens des MT mussten wir lernen, die Kontrollfrage loszulassen. Nicht fragen: warum hast du letzten Monat drei Prozent weniger Mona verkauft? Denn das wissen sie ganz gut selber und können es auch in einer Mail erläutern. Nein, die Frage ist: was braucht ihr, um Mona zu beschleunigen und wie können wir dabei helfen? Das ist was ganz anderes. Wir unterstützen, anstatt zu kontrollieren.“
„Echte Führungskräfte erlauben sich, verletzlich zu sein.“
Vertrauen und Eigensteuerung, schön und gut, aber wie überprüft man die Zahlen? Schließlich geht es bei euch auch um Ziele.
„Sicher. Meine Ergebnisse werden hier live mit einem Beamer projiziert. Ich prüfe nicht nur, ob meine Teams daraus die richtigen Schlüsse ziehen; ich erwarte, dass jeder selbst darüber nachdenkt und dies mit seinem direkten Vorgesetzten klärt. Klug und in Übereinstimmung mit meinen Vorstellungen. Und sie können ihrerseits erwarten, dass meine Ziele mit denen der Unternehmensgruppe und die der Unternehmensgruppe mit denen des Vorstands abgeglichen sind. Es sind harte Ziele, für die sich jeder verantwortlich fühlt. Man muss sie erreichen wollen, aber es ist in Ordnung, wenn man auf dem Weg dorthin Fehler macht. Wie ich bereits sagte: Ich glaube fest an Verletzlichkeit, an die Offenheit, zuzugeben, dass man sich irren kann. Das ist genau das, was das nötige Vertrauen schafft.“
Letzte Frage: Viele FMCG-Unternehmen tun sich schwer mit E-Commerce. Wie ist das bei euch?
„Es ist ein schwieriger und noch kleiner Markt. In den Niederlanden entfällt nur ein Prozent des Wertes des Lebensmitteleinzelhandels auf den elektronischen Handel. Vor kurzem hielt ich einen Vortrag für eine Gruppe von Einzelhändlern und fragte sie, wie groß der Markt für Online-Shopping in den kommenden Jahren werden würde. Fast niemand kam über fünf Prozent hinaus. Aber täuschen Sie sich nicht: Die Berichte, die vor fünf Jahren über die Möglichkeiten des elektronischen Handels geschrieben wurden, waren völlig falsch. Schuhe, Kleidung – trotz der Dichte der Geschäfte werden diese in großem Umfang online verkauft. Das wird bald auch bei Lebensmitteln der Fall sein. Ich bin kein Technologe, aber ich stelle mir vor, dass wir in absehbarer Zeit alle einen gekühlten Briefkasten haben werden, in den der Zusteller eine Kiste mit Lebensmitteln hineinstellt. Meine Kinder sind alle drei in Asien geboren, wo der elektronische Handel viel größer ist. Sie verstehen wirklich nicht, dass man jede Woche am Samstagmorgen in denselben Supermarkt geht, um die gleichen Produkte aus demselben Regal zu holen und sie an derselben Kasse zu bezahlen. Und ich denke, sie haben Recht. Ich gebe meinem E-Commerce-Team den nötigen Freiraum, um mit neuen Ideen und Partnerschaften zu experimentieren. Dabei hilft, dass wir als Produzenten auch über immer mehr relevante Daten verfügen. Etwa eine Million Menschen nehmen inzwischen an unserem Eurosparen-Programm teil; sie sparen über unsere Marken und erhalten Rabatte auf Reisen und Produkte, die Spaß machen. Von der Hälfte dieser Menschen wissen wir, wer sie sind, was sie kaufen und wie wir sie erreichen können. Wenn ich zum Beispiel einen Werbespot mit unserem Botschafter Epke Zonderland zeigen möchte, wird er auf Knopfdruck an eine halbe Million Menschen gesendet. Deshalb ist es interessant, mit uns zu arbeiten. Für Einzelhändler, andere FMCG-Parteien, Logistikpartner… Ich allein habe auch keine Lösung, aber ich sage zu meinem E-Commerce-Team: Experimentiert, legt los. Unsere Reise wird einige Zeit in Anspruch nehmen.“
Text: Hans Pieter van Stein Callenfels
2015 – heute
Managing Director Branded Netherlands, FrieslandCampina
2011 – 2014
Global Category Director Infant & Toddler Nutrition (IFT), FrieslandCampina, Singapur
2010 – 2010
International Marketing Director IFT, FrieslandCampina, Kuala Lumpur, Malaysia
2009 – 2009
Marketing Manager IFT Frisian Flag Indonesien, FrieslandCampina, Indonesien
2004 – 2008
Marketing Manager Dutch Lady Vietnam, Friesland Campina, Vietnam
1999 – 2004
Business Development Manager Domo, FrieslandCampina
1997 – 1998
Management Consultant, Institutional Management Services (IMS)